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Wortfindungsstörungen mit Ersatzstrategien

 

 

Wortfindungsstörungen beim Benennen von Bildern treten in allen vier klassischen Aphasiesyndromen (globale, Wernicke-, Broca- und amnestische Aphasie) auf. Alle Aphasiepatienten haben mit bestimmten Wörtern Schwierigkeiten, die im überwiegenden Maße aber nicht über sogenannte ``Nullreaktionen'', sondern über bestimmte aphasische Antwortmuster beobachtbar sind. Mit charakteristischen Ersatzstrategien sind die Aphasiepatienten überzufällig häufig in der Lage, dem geforderten Zielwort nahe zu kommen. Die als Wernicke-Patientin diagnostizierte Ingrid Tropp Erblad (TE) zum Beispiel konnte in ihrer Wortproduktion folgendes Phänomen beobachten:

Es passierte oft, daß ich falsche Wörter gebrauchte. Dann hörte ich im allgemeinen selbst, daß ich etwas Falsches gesagt hatte. [...] Wollte ich ``rot'' sagen, konnte es ``blau'' werden. Wollte ich ``Winter'' sagen, wurde es sicher ``Sommer'', aus ``warm'' wurde ``kalt''. Immer wieder mußte ich mich berichtigen. Es war ermüdend.
(TROPP ERBLAD 19973:40f.)
Dieses aphasische Antwortmuster der Patientin TE zeigt eindeutig, daß zwischen dem gesuchtem Zielwort und der tatsächlich gegebenen Antwort eine Bedeutungsverwandtschaft besteht. Die gesuchten Zielwörter werden hier durch semantisch naheliegende Wörter ersetzt und im allgemeinen als semantische Paraphasien bezeichnet. Da dieser Fehlertyp häufig bei allen Aphasiepatienten zu beobachten ist, kommt EVERS-VOLPP (1988) zu dem Schluß,
daß Wortfindungsstörungen etwas mit den Wortbedeutungen zu tun haben, die als im mentalen Lexikon abgespeichert angenommen werden.
(EVERS-VOLPP 1988:106)
Ergebnisse aus Benennexperimenten von KOHN/GOODGLASS (1958) an Wernicke-, Broca- sowie amnestischen Aphasikern unterstützen die Annahme, daß sich die einzelnen diagnostischen Gruppen nicht signifikant bezüglich des Vorkommens semantischer und phonematischer Paraphasiengif unterscheiden. Es kann daher angenommen werden, daß aphasische Patienten aller Syndromgruppen vergleichbare Wortfindungsstörungen bei der Benennung von Objekten haben.gif Aphasische Antwortreaktionen unterliegen demnach keinem willkürlichen Prozeß, sondern haben als abweichendes Antwortmuster überzufällig häufig eine nachvollziehbare Bedeutungsähnlichkeit mit dem geforderten Zielwort. Das hier vorliegende Phänomen beschreibt die Aphasikerin TE anschaulich als ein in ``unserem Kopf'' befindliches ``Regalsystem''.
Ich stellte mir vor, daß die Wörter im Gehirn in Kategorien eingeteilt sind. Wie ein Regalsystem, das für verschiedene Kategorien von Wörtern verschiedene Regale hat. Wenn ich zum Beispiel ``Sommer'' bestellte, eilten kleine Gehirnarbeiter zum Regal für Jahreszeiten und kamen mit ``Winter'' zurück.
(TROPP ERBLAD 19973:41)
Die folgenden neurolinguistischen Daten zu Wortfindungsstörungen in Benennungsaufgaben stammen aus unterschiedlichen Quellen, wie beispielsweise von STACHOWIAK (1979) oder BLANKEN (1990, 1997).
Als Stimuluswörter dienen im nachfolgenden Abschnitt einfache Nomina wie Hund oder Mann, die nach STACHOWIAK (1979:64) als sprachliche Etiketten bezeichnet werden können, da sie aufgrund ihrer Wortstruktur nichts über ihre Bedeutung aussagen. Neben diesen sogenannten ``etikettierenden Lexemen'' dienen weiterhin Nomina als Stimuluswörter, die als schwach deskriptive oder stark deskriptive Wörter beschrieben werden. Das Wort Scheibenwischer beispielsweise ist ein stark deskriptives und somit transparentes Wort. Heuschrecke hingegen ist ein schwach deskriptives Wort und daher als opak zu bezeichnen. Die in dieser Arbeit vorgestellten aphasischen Daten dürfen aber nicht, wie STACHOWIAK (1979:64) bei den Befunden zu Benennexperimenten von VOGELS (1978) schon hervorhebt, auf den Gesamtwortschatz verallgemeinert werden.
 



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Sun Jan 30 19:15:22 MET 2000