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Die konzeptuelle Ebene

Geht dem Gebrauch eines Wortes etwas voraus? Nach Aussage des vierten Johannesevangeliums scheint die Antwort eindeutig zu sein, denn im Prolog steht geschrieben: Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott (JOHANNES 1,1). Faust hingegen zweifelt stark an der Äußerung:
Geschrieben steht: Im Anfang war das Wort!
Hier stock` ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
(GOETHE, Faust, Z. 870-874)
Schließlich kommen DAMASIO/DAMASIO (1994:58) zu dem Schluß: Doch am Anfang gab es keine Wörter.
Lange bevor ein Kleinkind das erste Wort gebraucht, ist es fleißig dabei, sogenannte Konzepte oder Begriffe mental zu speichern. Das Kleinkind kann bereits konzeptuelle Einheiten im Gedächtnis gespeichert haben, bevor die dazugehörigen sprachlichen Einheiten im mentalen Lexikon zur Verfügung stehen.
Konzepte repräsentieren als mentale Organisationseinheiten die außersprachliche Welt. Diese elementaren Einheiten sind auf der konzeptuellen Ebene gespeichert.
 Als Bausteine unseres Kognitionssystems ermöglichen sie die ökonomische Speicherung und Verarbeitung subjektiver Erfahrungseinheiten durch die Einteilung der Informationen in Klassen nach bestimmten Merkmalen.
(SCHWARZ 19962:87)
Demnach liegen den Wörtern kognitive Strukturen in Form von Konzepten zugrunde, so daß die Äußerung ``Am Anfang war das Konzept'' als angemessenes ``Antizitat''gif aufgefaßt werden kann. Die zwei grundlegenden Prinzipien, namentlich Identität und Äquivalenz, ermöglichen dem Menschen, die Welt und das Wissen von der Welt zu kategorisieren. Das fundamentale Prinzip der Identität besagt, daß ein Objekt zu verschiedenen Zeitpunkten in den verschiedensten Räumlichkeiten als ein und dieselbe Entität erkannt wird. Das Äquivalenzprinzip führt dazu, daß zwei Objekte aufgrund gemeinsamer Eigenschaften als zwei Entitäten erkannt werden. Sie sind gleichwertig und gehören somit derselben Klasse an. Das Erkennen identischer und äquivalenter Objekte erfolgt über die im LZG [Langzeitgedächtnis] gespeicherten Konzepte (SCHWARZ 19962:88). Im Gedächtnis sind zwei unterschiedliche konzeptuelle Struktureinheiten mental repräsentiert: Die ``Type-Konzepte'' und die ``Token-Konzepte''. Erstere speichern Informationen über ganze Klassen von Objekten und werden auch als Kategorienkonzepte bezeichnet. Die Token-Konzepte bzw. Individualkonzepte hingegen repräsentieren individuelle Konzepte. Bei dem Prosopagnostiker, der seine Frau mit einem Hut verwechselte, lag nach SACKS (19952) ein völliger Verlust für das Persönliche und u.a. für das Emotionale im visuellen Bereich vor. Die Token-Konzepte, die individuelle Informationen über Gesichter speichern, konnten aufgrund gestörter Erkenntnisprozesse nicht mehr hergestellt werden. Diese spezifische Agnosie verursachte seltsame Verhaltensweisen bei dem Musiker Dr. P.:
Dr. P. war nämlich nicht nur in zunehmendem Maße außerstande, Gesichter zu erkennen, sondern er sah auch Gesichter, wo gar keine waren: Auf der Straße tätschelte er im Vorbeigehen Hydranten und Parkuhren, weil er sie für Kinder hielt; liebenswürdig sprach er geschnitzte Pfosten an und war erstaunt, wenn sie keine Antwort gaben.
(SACKS 19952:23)
Er streckte die Hand aus und griff nach dem Kopf seiner Frau, den er hochzuheben und aufzusetzen versuchte. Offenbar hatte er seine Frau mit einem Hut verwechselt!
(SACKS19952:27)
Bei der Entstehung von Konzepten sind bestimmte mentale Operationen von Bedeutung. Ein GESICHT-Konzept beispielsweise entsteht aus der Erfahrung mit vielen verschiedenen Gesichtern. Aus dieser Vielzahl werden die individuellen Gesichtsmerkmale von den gemeinsamen Merkmalen getrennt, wobei diese im Gedächtnis als GESICHT-Konzept abgespeichert werden. Das GESICHT-Konzept beispielsweise mit den gemeinsamen Merkmalen hat eine Nase; hat einen Mund; hat zwei Augen könnte für alle Gesichter als eine Art Klassifikationsregel fungieren (SCHWARZ19962:88), da jedes Exemplar der Klasse ``Gesicht'' als Mitglied oder Nicht-Mitglied des GESICHT-Konzepts identifiziert werden kann. In den Konzepttheorien geht man aber davon aus, daß es sich bei den Konzepten um flexible Repräsentationseinheiten handelt, die in Anlehnung an die Prototyp-Konzeption von ROSCH et al. (1976)gif entstanden sind.
Da KELTER (1990) die Repräsentation der Konzepte mit den verantwortlichen Aktivierungsprozessen in Analogie zu denen des semantischen Systems setzt, soll der anschließende Abschnitt Aufschluß über anzunehmende mentale Repräsentationsmöglichkeiten geben.

Auf der von LEVELT (1989) als ``Conzeptualizer'' bezeichneten konzeptuellen Ebene, die laut WERANI (1997) das semantische System umfaßt, werden somit Konzepte erstellt, die als ``präverbale Botschaft'' auf der nächsten Ebene lexikalisiert werden. SCHWARZ (1995) liefert über das Verhältnis von konzeptuellem und semantischem System einen anschaulichen Beitrag:

Die Semantik bezieht ihre Inhalte aus dem konzeptuellen System, ihre Formen aus dem sprachlichen System. Konzeptuelle Inhalte werden also sprachspezifisch durch phonologische Repräsentationen und syntaktische Raster gebunden. [...] Das Besondere des semantischen Systems liegt dabei im Formalen, d.h. in der Gebundenheit an sprachliche Einheiten und Strukturen. Konzept- und Bedeutungsinformationen stehen dabei nicht notwendigerweise in einer 1:1-Relation. Semantische Lexikoneinträge repräsentieren vielmehr Teile aus Konzepten. [...] Bedeutungen entstehen also aus einer selektiven Lexikalisierung von Konzeptinformationen.
(SCHWARZ 1995:363f.)

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